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Pressebericht

Thüringer Landeszeitung

Eisenach: Soljanka, Subbotnik und Volkspolizisten

Am kürzeren Ende der Sonnenallee“: Waldorfschüler inszenieren Theater über den DDR-Alltag

28. September 2018 / 02:16 Uhr

Die komödiantischen Abbilder von Stalin, Churchill und Truman (von links) beraten. Foto: Susanne Sobko

Eisenach. Zurzeit laufen Schüler der Freien Waldorfschule Eisenach/Wartburgkreis mit FDJ-Hemden herum, singen das Lied „Kleine weiße Friedenstaube“ und werden von Volkspolizisten kontrolliert – im Theaterstück „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“, das von den Zwölftklässlern in sechs ausverkauften Vorstellungen aufgeführt wird.

Sooft war wohl noch nie ein Klassenstück zu sehen, mit 45 Schülern gab es auch noch nie so viele Darsteller, und als weitere Besonderheit spielt das Stück im Saal und die Zuschauer sitzen auf der Bühne. Die Schüler und ihre Begleiter haben sich auch sonst viel Mühe gegeben, ein besonderes Theatererlebnis zu bieten.

So fingen sie schon Wochen vorher damit an, die DDR-typische Ausstattung zusammenzustellen und erscheinen mit roten Halstüchern und FDJ-Hemden; Honecker-Bild, DDR-Fahne und Ost-Mobiliar gehören zur Dekoration; die Polizisten tragen Original-Uniformen. Im Mittelpunkt steht die Sonnenallee in Berlin, deren Hauptteil im Westen lag. Einige Meter gehörten zum Osten, dazwischen ein Grenzübergang

Der Inhalt des Stücks nach dem gleichnamigen Kinofilm in einer Bühnenfassung von Ulrich Radoy erinnert ebenso an den DDR-Alltag, beginnend mit Zitaten von Thomas Brussig wie „Mein Gott waren wir komisch und haben es nicht bemerkt“. Besonders prägend ist das Wort „Ordnung“. Gleich am Anfang wird es den Thälmann-Pionieren eingetrichtert, während sie in Reih und Glied in den Saal einmarschieren. Danach ist der Satz „Ordnung muss sein“ ein Running Gag, indem ihn die Abschnittsbevollmächtigten zigfach bei der Ausweiskontrolle wiederholen.

Staatliche Ordnung hält nur im öffentlichen Raum

Aber Ordnung herrscht immer nur im offiziellen Raum – sind die Oberschüler aus Ostberlin unter sich, dann lümmeln sie rum, tanzen ausgelassen, hören verbotene Musik. Und sie versuchen sich im Rebellieren – jeder auf seine Weise und möglichst so, dass es nicht wirklich gefährlich wird. Miriam zum Beispiel knutscht mit West-Jungs, Mario erklärt sich zum Existenzialisten, die Partei wird zur Vorhaut der Arbeiterklasse, und Lieder von den Stones sind heimliche Hymnen. Auch das sonstige Geschehen spiegelt den DDR-Alltag wieder.

Es geht um Soljanka und Subbotnik, Michas Eltern warten aufs Telefon, Onkel Heinz aus dem Westen bringt Kaffee und Gummibärchen. Zumeist klischeehafte Erinnerungen, mit manchen Szenen wird die skurrile Atmosphäre im sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat jedoch auch vertieft beleuchtet. Zum Beispiel wenn die Nachbarin fälschlich als Stasi-Spitzel vermutet wird; wenn die Mutter dem Vater eintrichtert „mach vorsichtig“; wenn Westdeutsche die bedauernswerten Ostberliner besichtigen mit Sätzen wie „die sehen ja aus wie richtige Menschen“; wenn der Vater das „Neue Deutschland“ lesen soll, damit der Sohn den Studienplatz in Moskau erhält; wenn die Mutter sich älter schminkt, um in den Westen zu kommen; wenn das Leben sinnlos erscheint, weil die Stones-Platte vom Schwarzmarkt zerstört ist.

Das weckt bei den einen Erinnerungen, anderen vermittelt es zumindest eine Ahnung vom Lebensgefühl in der DDR. Dieses offensichtliche Ansinnen gelingt den Schülern, ebenso wie das offensichtliche zweite Ziel, das allgemeine Lebensgefühl von Jugendlichen zu charakterisieren, die sich erstmals verlieben, die das Leben genießen und aufbegehren wollen.

Deshalb ist die eher banale Handlung kein Manko, zumal gelungene Szenen das Stück aufwerten. Etwa ein herrlich komödiantischer Exkurs zur Potsdamer Konferenz mit StalinChurchill und Truman; die geniale pantomimisch dargestellte Symbolik für den „Goldenen Westen“; die flotten Choreografien zu alten Hits. Bei den Darstellern gibt es ebenso einige herausragende Leistungen.

Hervorzuheben ist auch die gelungene Livemusik, zum Beispiel durch eine Band mit Cello, Klavier, Percussion und Gitarre sowie durch Gesangs-Einlagen. Andere Szenen wirken dagegen holprig, aber alle Schüler spielen mit Hingabe und zum Abschluss gibt es viel Beifall für dieses besondere Theaterstück.

Susanne Sobko / 28.09.18

Erstellt: Freitag, 28. September 2018 16:31

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